Künstliche Intelligenz erkennt Handgelenksbrüche
Künstliche Intelligenz (KI) kommt in immer mehr Lebensbereichen zum Einsatz. Die computergestützten Datenverarbeitungssysteme helfen, Arbeitsprozesse effektiver und schneller zu gestalten. Manche sehen in KI-Systemen gar die Zukunft der Arbeitswelt auf den Kopf gestellt, den Faktor Mensch bald durch den Computer ersetzt. Gleichzeitig lacht das Internet über KI-Software, die eine Katze nicht von Hunden unterscheiden kann. Ist die KI überhaupt schon ihren Kinderschuhen entwachsen? Fakt ist: mit Hilfe von maschinellem Lernen können bereits heute große Datenmengen treffsicher analysiert und verarbeitet werden. Davon profitiert auch die Medizin.
Am Ludwig Boltzmann Institut für Traumatologie, das Forschungszentrum in Kooperation mit der AUVA (kurz „LBI Trauma“) haben Wissenschaftler:innen untersucht, ob die Auswertung von Röntgenbildern bei Handgelenkbrüchen durch ein KI-Programm tatsächlich vergleichbar zuverlässige Ergebnisse liefert, wie die Diagnose durch einen erfahrenen Arzt oder eine erfahrene Ärztin.
Die distale Radiusfraktur, ein Bruch der Speiche, ist der häufigste Bruch bei Erwachsenen. Ist der Bruch subtil, wie etwa bei einem Haarriss, kann es zu Diagnosefehlern kommen. „Übersehene Brüche zählen leider zu den häufigsten Fehlern bei der Diagnose in der Unfallambulanz, wo es oft stressig und der Arbeitsdruck groß ist“ sagt Dr. Rosmarie Breu, Erstautorin der Studie. Dabei müssten Unfallchirurg:innen bei einem Bruch schnell reagieren, um beispielsweise Begleitverletzungen der Nerven zu verhindern. Denn ein übersehener Handgelenkbruch kann langwierige medizinische Folgen für die Betroffenen haben. Kann Künstliche Intelligenz hier als „Zweitmeinung“ Ärzt:innen bei der Diagnose unterstützen?
Im Rahmen eines Forschungsprojekts, gefördert durch die Wirtschaftsagentur Wien, hat das LBI Trauma gemeinsam mit der Firma ImageBiopsy Lab eine Software entwickelt, die Röntgenbilder mit entsprechenden Befunden in ein statistisches Modell verwandelt. Für die Vergleichsstudie wurde die KI-Software mit rund 20 000 anonymisierten Röntgenaufnahmen des Handgelenks mit und ohne Bruch „trainiert“. In diesem Prozess lernt die Software also von menschlichen Expert:innen, auf welchen Bildern ein Bruch zu sehen ist und wie diese sich von Bildern ohne Bruch unterscheiden.
Neun Fachärzt:innen, davon vier in Ausbildung, bewerteten anschließend 200 zufällig ausgewählte Röntgenbilder des Handgelenks. „Sie beurteilten die Bilder zuerst ohne Unterstützung,“ erklärt Breu. Drei Wochen später befundeten sie dieselben Bilder mithilfe der KI-Software als Zweitmeinung erneut, so die Orthopädin weiter. Die Fehlerquote bei der Diagnose verbesserte sich um rund fünf Prozent mit Unterstützung der Künstlichen Intelligenz – bei Ärzt:innen in Ausbildung war die Verbesserung noch ausgeprägter. Besonders diese jungen Ärzt:innen konnten durch die Zweitmeinung ihre Diagnosetreffsicherheit erhöhen. Sie hatten mit der KI-Software quasi die Erfahrung ihrer Kolleg:innen zur Hand, welche die KI trainiert hatten.
Die Wissenschaftler:innen schließen aus den Daten, dass die KI-Zweitmeinung eine genaue Diagnose bei schwer sichtbaren Handgelenkbrüchen verbessern kann. Was aber auch deutlich wird: die Software ist immer nur so gut wie ihre Trainer:innen. Erfahrene Ärzt:innen oder gar die klinische Untersuchung übertrifft sie nicht. So viel Hype derzeit auch allerorts um KIs und ihre Möglichkeiten herrscht – der Mensch als Expert:in wird in der Medizin noch lange unersetzlich bleiben.
Wie könnte der Einsatz dieser KI im klinischen Alltag aussehen? „Im Idealfall unterstützt und optimiert das KI-Programm medizinische Abläufe in der Unfallambulanz,“ meint Breu. Neben einer deutlichen Verringerung von übersehenen Brüchen, könnten Diagnosen dank der KI- Zweitmeinung schneller und genauer gestellt werden. Bis es soweit ist, müssen klinische Studien die Treffsicherheit und den Nutzen von Künstlicher Intelligenz bei der Befundung überprüfen. Das LBI Trauma will in einem nächsten Schritt die KI-Software auch bei der Erkennung von Brüchen in anderen Körperregionen testen.