Sepsis: Wenn Komplikationen lebensbedrohlich werden

Sepsis, auch bekannt als Blutvergiftung, gehört zu den häufigsten Todesursachen weltweit. Etwa jeder dritte Betroffene verstirbt daran. Früherkennung ist wichtig, wie auch mehr Verständnis für die komplexen Vorgänge, die sich vor, während und nach einer Sepsis im Körper abspielen. Die Erkrankung bedarf unserer Aufmerksamkeit. Deshalb ist der September Sepsis Awareness Month.

Sepsis entsteht, wenn das Immunsystem eine Infektion und deren Folgen nicht mehr lokal begrenzen kann. Es kommt zu einer überschießenden Abwehrreaktion des Körpers, die das eigene Gewebe und Organe schädigt. Die Ursachen für Sepsis sind vielfältig. Im Zuge von Verletzungen können Mikroorganismen in den Blutkreislauf gelangen und so eine Sepsis auslösen. Aber auch als Komplikation von Erkrankungen wie Lungenentzündung, Infektionen des Magendarmtrakts oder krankhaften Gewebeveränderungen wie etwa dem diabetischen Fußsyndrom kann Sepsis entstehen.

Das Problem für die Klinik liegt darin, dass die Krankheit schwer zu diagnostizieren und zu behandeln ist. Priv.-Doz. Dr. Marcin Osuchowski ist Co-Direktor und Leiter der Intensivmedizin-Forschung am Ludwig Boltzmann Institut für Traumatologie, das Forschungszentrum in Kooperation mit der AUVA.  Gemeinsam mit seinem Team erforscht der polnisch-stämmige Wissenschaftler die Vorgänge, die der Sepsis zugrunde liegen. Dabei wird das Geschehen auf molekularer Ebene untersucht, von frühen Anzeichen bis hin zum Organversagen im septischen Schock. Die Wissenschaftler:innen beobachten Funktionsänderungen und Schädigungen an Zellen und Änderungen in der Zellkommunikation. Damit Sepsis in Zukunft früher erkannt werden kann, werden Biomarker gesucht, die Vorhersagen über die Entstehung und den Verlauf der Krankheit erlauben.

Ein zentraler Mechanismus der Sepsis ist der Zytokinsturm. Zytokine sind kleine Signalmoleküle im Körper. Das Immunsystem nutzt sie zur Kommunikation. Bei einer Sepsis bricht im Immunsystem buchstäblich Panik aus: alle rufen durcheinander, freigesetzte Zytokine führen zur Aktivierung von noch mehr Zytokinen. Eine Abwärtsspirale beginnt, in der das Immunsystem letztendlich wild um sich schlägt und auch den eigenen Körper schwer schädigt.

Was im Zuge einer Sepsis passiert, ist eine völlige Deregulierung des Immunsystems und der Entzündungsreaktionen, die mit der körpereigenen Abwehr einhergehen. Dabei spielen Zytokine, kleine Signalmoleküle im Körper, eine wichtige Rolle. Das Immunsystem nutzt sie zur Kommunikation. Bei einer Sepsis bricht im Immunsystem buchstäblich Panik aus: alle rufen durcheinander. Das kann eine Abwärtsspirale – einen „Zytokinsturm“ – auslösen, in der das Immunsystem wild um sich schlägt und auch den eigenen Körper schwer schädigt. Oder aber, die Abwehrkräfte werden außer Kraft gesetzt, weil jegliche Strategie in dem Durcheinander untergeht. Die Deregulation kann in beide Richtungen passieren. Je nach Krankheitsverlauf, Art der eingedrungenen Mikroorganismen, oder auch patientenspezifischen Kriterien überwiegt oft die eine oder andere Seite.

Das Wort „Zytokinsturm“ fällt auch oft im Zusammenhang mit einer anderen Erkrankung, die die Welt nun seit über zwei Jahren beschäftigt: COVID-19. Dabei handelt es sich jedoch um eine grobe Vereinfachung der Vorgänge einer völlig eigenständigen Erkrankung. Das Wissen um die Pathophysiologie von COVID-19 führte lange ein Dasein im Hintergrund, während die Epidemiologie die Schlagzeilen dominierte. Die öffentliche Wahrnehmung schwankte zwischen einer „schweren Grippe“ und einer besonders hartnäckigen Lungenentzündung, letzteres nicht zuletzt wegen ihres Namens (SARS steht für severe acute respiratory syndrome). Doch die Veränderungen der Lunge sind leider nur ein Teil des Puzzles des komplexen Krankheitsbilds von COVID-19.

Hier gelang es Dr. Osuchowski, Brücken zwischen den Disziplinen zu schlagen, um gemeinsam mit Expert:innen unterschiedlicher Forschungsfelder ein außerordentliches Übersichtswerk zu erstellen. In „The COVID-19 Puzzle“, veröffentlich in The Lancet Respiratory Medicine, beschreiben sie umfassend das Krankheitsbild von COVID-19 in und außerhalb der Lunge. In Illustrationen veranschaulichen die Wissenschaftler:innen die entzündlichen Mechanismen in den Lungenbläschen, gefährliche Gefäßveränderungen sowie die Veränderungen des Blutbilds. Sie betonen auch langanhaltende Spätfolgen, deren Tragweite sich erst mit der Zeit zeigen wird, und die die Medizin und Wissenschaft noch lange in Atem halten werden.

Dr. Osuchowski erklärt: „SARS-CoV-2 ist ein neues infektiöses Pathogen, welches unser Immunsystem vor eine neue Herausforderung stellt. Zunehmend wird deutlich, dass die Schwere von COVID19-Erkrankungen mit einer fehlregulierten Antwort des Immunsystems in Zusammenhang steht, die sich von bislang bekannten Mechanismen und Ursachen einer Sepsis unterscheidet. Wir raten zur Vorsicht gegenüber der weit verbreiteten Vorstellung eines systemischen Zytokinsturms als führender Grund für die beobachteten Multiorganreaktionen. Die Datenlage dazu ist noch nicht eindeutig.“

Über die Arbeit an “The COVID-19 Puzzle“ erzählt Dr. Osuchowski: „Worauf ich besonders stolz bin, ist nicht die Erstautorschaft, sondern dass ich es geschafft habe, diese aufgeheizte Diskussion anzustacheln. Ich habe einige Leute vor den Kopf gestoßen, noch mehr verärgert, aber ich habe es geschafft, diesen Ärger in etwas Bedeutendes zu verwandeln.“

Seine Stärke im Vernetzen von Menschen – sei es nun aus Ärger über aufgezeigte Probleme oder einfach dem Wunsch, gemeinsam an einem Strang zu ziehen – zeigte Dr. Osuchowski auch in anderen Projekten. So wurde durch ihn beispielsweise die Wiggers-Bernard Initiative für Sepsisforschung ins Leben gerufen. In der präklinischen Sepsisforschung gab es zuvor nie organisierte Bestrebungen, diese durch Richtlinien zu standardisieren. Jedes Labor führt seine Experimente ein klein bisschen anders durch. Dies führt zu Qualitätsunterschieden und Verwirrung durch schlecht vergleichbare Daten. Die Umlegung von Forschungsergebnissen auf die klinische Anwendung wird dadurch erschwert. Das unter dem Banner der Wiggers-Bernard Initiative in Wien versammelte Expert:innenteam formulierte die MQTiPSS (Minimum Quality Threshold in Pre-Clinical Sepsis Studies), 29 Empfehlungen als gemeinsamen Nenner für die Durchführung von Sepsisstudien. So können Wissenschaftler:innen ihre Forschung noch effektiver zu gestalten.

Im September 2023 wird Wien erneut für ein paar Tage Hauptstadt der Sepsisforschung werden. Dann findet der 20. Kongress der European Shock Society statt – einer Gesellschaft, deren Präsidentschaft Dr. Osuchowski im September 2021 übernommen hat.