Von klebrigen Abstandhaltern und Kindheitsträumen – Interview mit einer Jungforscherin
In unseren Köpfen ist das Bild von Heilung untrennbar verbunden mit Bildern der Wiedervereinigung: Wunden schließen sich, Knochen wachsen zusammen, Nervenenden finden einander wieder. Die Chirurgin näht die Wundränder zusammen. Ein Nagel fixiert Knochenteile. Auf gut Deutsch: nach einem Unfall werden wir im Krankenhaus wieder zusammengeflickt. Doch was, wenn in unserem Körper etwas zusammenwächst, was gar nicht zusammengehört?
Ich darf mich heute mit Chrissie Baltzaki, MSc unterhalten. Sie ist Mitglied der Gruppe für Weichgewebsregeneration am Ludwig Boltzmann Institut für Traumatologie (kurz LBI Trauma), das Forschungszentrum in Kooperation mit der AUVA. Im Interview spricht die junge Wissenschaftlerin aus Griechenland über ihre Forschung an besonderen Biomaterialien, die dazu da sind, auseinander zu halten, was nicht zusammengehört.
Was mich an deinen Materialien so fasziniert, ist, dass sie für mich so kontraintuitiv sind. In der Unfallchirurgie geht es so oft darum, Getrenntes wieder zu vereinen. In welchen Situationen ist das unerwünscht?
Wir beschäftigen uns konkret mit postoperativen Adhäsionen, auch „Verwachsung“ genannt. Durch Verletzungen oder chirurgische Schnitte entstehen Heilungsflächen, die mitunter auf unterwünschte Weise wieder zusammenwachsen. Das ist vor allem in der Bauchhöhle ein Problem, weil dort viele verschiedene Gewebe in Kontakt miteinander sind, und sich doch frei bewegen können sollen.
Was passiert, wenn Gewebe im Bauch miteinander verwächst?
Das hängt ganz davon ab, welche Gewebe beteiligt sind. Wenn Darm oder Bauchdecke verwachsen, sind Verdauungsbeschwerden bis hin zum Darmverschluss die Folge. Verwachsen Eierstöcke oder Gebärmutter mit der Bauchdecke, kann dies zu Unfruchtbarkeit und Schmerzen im Unterbauch führen. Überhaupt sind Schmerzen ein Symptom, das allen Arten der Verwachsung gemein ist.
Wie werden diese Verwachsungen behandelt?
Haben sie sich erst mal gebildet, müssen sie durch eine weitere Operation getrennt werden. Allerdings ist das Risiko groß, dass die beiden Gewebe wieder miteinander verwachsen. Es braucht effektive Abstandhalter.
Und daran arbeitet ihr?
Genau. In unserer multidisziplinären Gruppe aus Ärzt:innen, Chemiker:innen und Biolog:innen entwickeln wir Materialien, um diesen Verwachsungen vorzubeugen. Sie wirken wie ein Abstandhalter. Besonders wichtig ist uns dabei, dass sie auch laparoskopisch, also im Zuge einer Bauchspiegelung anwendbar sind. Und, dass das Material gut bioverträglich ist und genau für die richtige Zeitspanne im Körper bleibt. Der Körper soll es in 7 bis 14 Tagen abbauen. Das ist gerade lange genug, um Verwachsungen effektiv zu vermeiden.
Unser Bauch ist ja ständig in Bewegung. Wie bleibt euer Material an Ort und Stelle? Wird es genäht?
Nein, unser Biomaterial klebt von selbst. Da kann auch nichts verrutschen. Die Paste bedeckt den gesamten Wundbereich und verhindert, dass er an falscher Stelle anwachsen kann. Dafür muss es zugleich bioverträglich und zellabweisend sein. Auch die Abbauprodukte dürfen den Körper nicht irritieren.
Ich interessiere mich auch immer für den Mensch hinter der Forschung. Wie ist es dazu gekommen, dass heute in Wien forschst?
Das ist eigentlich ganz einfach. Ich war gerade mit meinem Master-Studium an der Universität Kreta fertig und wusste, ich will in Europa bleiben und ich will in der Geweberegeneration arbeiten. Also habe ich mich hingesetzt und eine Liste von Personen und Institutionen aufgeschrieben, für die ich gerne arbeiten möchte. Heinz Redl (ehemaliger Leiter des LBI Trauma) war ganz oben auf dieser Liste. Eine Professorin hat geholfen, ihm eine Zusammenarbeit im Erasmus-Programm vorzuschlagen und es hat geklappt! Ich habe meine Trauma-Forschungsstelle bekommen.
Gehen wir noch einen Schritt weiter zurück. Was hat dich dazu bewegt, Forscherin zu werden?
Ich wusste schon mit 5, dass ich Wissenschaftlerin werden wollte. Mein Großvater ist Physiker, er hatte sein eigenes Labor, hat auch Chemie und Biologie unterrichtet. Er hat mich schon als kleines Kind mit ins Labor genommen und mir Experimente gezeigt. Als ich dann älter wurde, war ich fasziniert von Biomaterialien und Geweberegeneration – von dem Konzept Materialien zu kreieren, die in den Körper implantiert werden können und dann Teil des Körpers werden. Jetzt habe ich es endlich geschafft, diesen Pfad zu verfolgen. Ich möchte mit meiner Forschung Menschen helfen.
Wie sieht ein Tag im Leben einer Erasmus-Forscherin am LBI Trauma aus?
Durch unsere Zusammenarbeit mit der Technischen Universität Wien darf ich die TU Labore mitbenutzen. Dort ist es meist ruhiger als am Hauptquartier im Traumazentrum. Das Chemielabor ist sehr gut ausgestattet und wir haben dort viel Platz. Für in vitro Tests gehe ich ans LBI Trauma. Dort im Zellkulturlabor teste ich, ob Zellen in unser Material einwachsen. Schon jetzt kann ich verraten: das tun sie nicht. Und das ist gut so.