Sepsis verhindern – Leben retten!

In Österreich sterben mehr Menschen an Sepsis als an „Volkskrankheiten“ wie Schlaganfall, Herzinfarkt oder Lungenkrebs. Dennoch wird abseits der Intensivmedizin wenig darüber gesprochen. Vor allem vor und nach dem Notfall besteht Aufklärungsbedarf. Denn die Frühzeichen einer Sepsis werden oft übersehen, und Langzeitfolgen sind noch schlecht erforscht. Das LBI Trauma engagiert sich an mehreren Fronten für ein besseres Verständnis der Erkrankung.

Sepsis, auch Blutvergiftung genannt, ist die schwerste Komplikation einer Infektion. Sie entsteht, wenn das Immunsystem eine Infektion und deren Folgen nicht mehr lokal begrenzen kann. Während einer Sepsis schädigt die körpereigene Abwehrreaktion gegen einen Erreger auch das eigene Gewebe und Organe. Unbehandelt ist eine Sepsis immer tödlich.

Am Kongress der European Shock Society (ESS; www.europeanshocksociety.org) in Wien, organisiert durch die AUVA und das Ludwig Boltzmann Institut für Traumatologie, erzählt ein Überlebender seine Geschichte: „Ich fühlte mich sehr unwohl, ein Zustand, der sich später als Lungenentzündung herausstellte, aber nicht als solche diagnostiziert wurde. Es überkam mich ein Gefühl, das man im Nachhinein als „das Gefühl, als würde man sterben“ beschreiben könnte, eines der Symptome einer Sepsis.“  Der Überlebende wurde ins Spital eingeliefert, wo er bereits in ein künstliches Koma versetzt und mittels extrakorporaler Lungenunterstützung beatmet werden musste. Erst nachdem er einige Wochen später aufwachte realisierte er, dass er soeben eine Sepsis überlebt hatte.

Der Überlebende hatte Glück, seine Geschichte auf dem Kongress in Wien erzählen zu können. Glück, dass seine Situation als Notfall erkannt wurde. Und Glück, in einer Klinik gelandet zu sein, die über exzellente Ausrüstung und viel Erfahrung auf dem Gebiet der Sepsis verfügte. Von seiner Erkrankung hat er keine Langzeitschäden davongetragen. Dem ist nicht immer so.

Eine Sepsis zu überleben heißt nicht gleich Rückkehr in das gewohnte Leben. Im Septischen Schock gerät unser Körper an sein Limit. Durch die extreme Immunreaktion werden nicht nur die Erreger bekämpft, sondern auch Nervengewebe und Organe wie Lunge, Herz und Niere geschädigt und das Immunsystem langanhaltend aus der Balance geworfen. Selbst wenn der Patient letztendlich dem Tod durch Multiorganversagen entgeht, können Schäden zurückbleiben.

In Deutschland sammelt die Stiftung Sepsis Erfahrungsberichte. Auf der Webseite der Stiftung finden sich zahlreiche Geschichten, viele davon enden nicht mit der Entlassung aus der Klinik. Überlebende berichten von anhaltender Müdigkeit, sensorischen Störungen, Funktionsstörungen von Herz und Nieren und von erneutem Aufflammen der Sepsis. Zahlen untermauern diese Berichte. 20 Prozent der Sepsis-Überlebenden müssen innerhalb von 30 Tagen nach Entlassung aus der Intensivstation wieder stationär behandelt werden, weitere 30 Prozent der Überlebenden innerhalb eines Jahres. Drei Viertel der Überlebenden entwickelt ein komplexes Krankheitsbild, das sich PICS nennt (kurz für Persistent Inflammation, Immunosuppression, and Catabolism Syndrome, also eine dauerhafte Störung von Entzündungsvorgängen, Immunabwehr und Stoffwechsel).

Ein neues Projekt hat sich genau diesem noch wenig beschriebenen Krankheitsbild gewidmet. Unter dem Namen (und Motto) „BEATsepsis“ haben sich 10 Einrichtungen in 6 europäischen Ländern zusammengeschlossen, um das Verständnis für die Langzeitfolgen von Sepsis voranzutreiben. Durch die enge Zusammenarbeit von Klinik und Forschung, geografischer Grenzen zum Trotz, können Erkenntnisse so praxisnah wie möglich gewonnen werden. Ein Forschungsteam unter Leitung von Priv.-Doz. Dr. Osuchowski am LBI Trauma vertritt Österreich in dem Projekt. Die jahrelange Exzellenz im Bereich der Sepsisforschung, unter anderem markiert durch drei Präsidentschaften der European Shock Society innerhalb der letzten 20 Jahre, bringt das Institut nun bei der Identifikation von Entzündungsmarkern im Blut von Sepsis-Überlebenden ein.

Doch BEATsepsis will sich nicht nur auf molekularer Ebene dem Problem widmen. Es ist auch erklärtes Ziel der Partner, besonders des LBI Trauma, welches im Projekt die Kommunikationsleitung innehat, über Sepsis und ihre Folgen aufzuklären. Denn nicht nur bei Patient:innen, auch bei medizinischem Personal abseits großer medizinischer Zentren mangelt es oft an Bewusstsein für das Krankheitsbild. Expertise für und Erfahrung mit Sepsis findet sich zumeist im Bereich der Intensivmedizin. Wie jede Langzeiterkrankung wird PICS jedoch vor allem im niedergelassenen Bereich behandelt. Spezialisierte Anlaufstellen oder Patient:innenorganisationen gibt es in Österreich keine.

Marcin Osuchowski, der als Präsident der European Shock Society den Kongress in Wien organisierte, beschreibt den Auftritt der Sepsis-Überlebenden als intensivste Erfahrung des gesamten Programms. Dass Patient:innen bei wissenschaftlichen Kongressen auf der Bühne stehen, das gibt es sonst nirgendwo. Umso wichtiger war es für Dr Osuchowski. Denn am Ende aller Forschungsanstrengungen stehen Menschen mit eigener Geschichte vor, während und nach der Sepsis. Menschen, die dank der Zusammenarbeit vieler Menschen im Spital überleben. Menschen, für deren Überleben wir gemeinsam forschen. Zahlen und Daten reichen nicht aus, um die Komplexität und Einzigartigkeit ihrer Geschichten zu begreifen.

a. Am Kongress in Wien erzählen Überlebende ihre Geschichten. Dass sie die gefährliche Erkrankung überlebt haben, verdanken sie der schnellen und kompetenten Hilfe des Klinikpersonals.