Neue Therapie bei Rotatoren-Manschettenrissen

Unser Schultergelenk ist ein echtes Multi-Talent. Als beweglichstes Gelenk unseres Körpers erlaubt es Bewegungen entlang mehrere Beugeebenen und der Drehachse. Schulterzucken, Liegestütze, wildes Kreisen – die Schulter macht alles mit. Das verdanken wir dem speziellen Aufbau des Gelenks. Der Kopf des Oberarmknochens liegt in der sehr flachen Gelenkpfanne des Schulterblatts und wird von einer Gruppe von Muskeln, der sogenannten Rotatorenmanschette, an Ort und Stelle gehalten.

Diese dynamische Fixierung macht die Schulter jedoch auch anfällig für Verletzungen. Auskugelungen kommen im Schultergelenk besonders häufig vor. In jungen Jahren braucht es dafür einen Sturz auf den nach hinten gestreckten Arm oder Einwirkung hebelnder Gewalt auf den fixierten Oberarm. Mit zunehmendem Alter steigt das Verletzungsrisiko. Die Strukturen der Rotatorenmanschette sind dann durch Alterungs- und Verschleißprozesse geschädigt. Im Alter kann bereits ein Bagatelltrauma, wie ein Anprall oder große Kraftanstrengung, ausreichen, um Risse der Rotatorenmanschette zu verursachen.

„Eine Verletzung der Sehnen der Rotatorenmanschette leitet in den meisten Fällen eine Kaskade von weiteren Degenerationen der Schulter ein“, berichtet, DDr. Jakob Schanda, Orthopäde und Unfallchirurg am AUVA Traumazentrum Wien, Standort Meidling und Mitglied der Schulterregeneration-Gruppe am Ludwig Boltzmann Institut für Traumatologie, das Forschungszentrum in Kooperation mit der AUVA. „Durch einen Sehnenriss verfetten die Muskeln der Rotatorenmanschette und der durch die Schonhaltung weniger aktivierte Oberarmknochen wird osteoporotisch und anfälliger für Brüche.“ Dieser Knochenverlust im Oberarmkopf kann selbst nach einer chirurgischen Wiederherstellung der Rotatorenmanschette vorkommen und ist häufig mit Reparaturversagen verbunden.

Gemeinsam mit seinen Co-Autorinnen und -Autoren, darunter Gruppenleiter Priv.-Doz. Dr. Rainer Mittermayr, untersuchte Dr. Schanda erstmals die Wirkung von Zoledronsäure auf die Knochenmikroarchitektur des Oberarmkopfs nach der chirurgischen Wiederherstellung der Rotatorenmanschette. Zoledronsäure ist eine der gängigsten Therapien bei Osteoporose, da sie kostengünstig und leicht durchführbar ist. Einmal jährlich wird den Patientinnen und Patienten das Biophosphat gespritzt und damit das Risiko eines Knochenbruchs signifikant reduziert. Auch im Fall des Schultergelenks zeigte sie Wirkung. Mittels Mikro-Computertomografie zeigte sich innerhalb der Interventionsgruppe deutlich, dass der Knochenaufbau und die Knochendichte nach acht Wochen signifikant höher waren als bei der Kontrollgruppe, die keine Injektion erhalten hatte. Die Beobachtungen legen nahe, dass die Therapie mit Zoledronsäure den Knochenabbau hemmen und die Knochendichte erhöhen könnte. Jakob Schanda wurde für seine Studie 2021 mit dem Preis für die Beste Experimentelle Arbeit der Österreichischen Gesellschaft für Unfallchirurgie ausgezeichnet.

Allein in Osterreich ist etwa jede:r Fünfte im Laufe seines Lebens betroffen, der Großteil aufgrund von Rissen im Alter. Für die Betroffenen sind Schmerzen bei alltäglichen Bewegungen und eine Verminderung ihrer Beweglichkeit die Folge. „Unsere Studie zeigt eine einfache und günstige Therapiemöglichkeit, um Personen mit Schulterbeschwerden auch im Alter ein schmerzfreies, uneingeschränktes und aktives Leben zu ermöglichen“, so Jakob Schanda.

Er kann sich vorstellen, dass sich Patientinnen und Patienten in Zukunft schon beim Erstgespräch nach einem Schultersehnenriss für eine einmalige Therapie mit Zoledronsäure entscheiden könnten. Bis zum Operationstermin würden sie dann schon von der positiven Wirkung der Zoledronsäure profitieren. Nebenwirkungen gebe es kaum. „Die meisten Menschen fühlen sich nach einer Infusion mit Zoledronsäure etwas grippig, ähnlich einer leichten Impfreaktion“, sagt Schanda. Noch gibt es keine klinische Studie zur Wirksamkeit der Zoledronsäure bei der Rotationsmanschettenkonstruktion. Das soll sich bis Ende 2022 ändern. Dann will das Forschungsteam des LBI Trauma die Wirkung von Zoledronsäure bei Personen nach einer Rotatorenmanschettenrekonstruktion untersuchen.

Neben der positiven Wirkung auf den Knochen entdeckten Jakob Schanda und seine Co-Autorinnen und -Autoren einen zusätzlichen Effekt der Zoledronsäure auf die Muskulatur der Rotatorenmanschette. In einer Folgestudie beschreiben sie, dass auch der Abbau von Muskeln gehemmt werde. Für die Forscher:innen ist das ein weiterer Grund, ihre Ergebnisse möglichst bald in einer klinischen Studie zu überprüfen.