Medizinisches Recycling – Stammzellen aus humanem Abfallmaterial

Im menschlichen Körper befinden sich viele Billionen Zellen mit verschiedensten Spezialisierungen. Knorpelzellen, Hautzellen, Blutzellen – die Liste ist zu lang, um sie hier vollständig aufzuzählen. Sie alle leben in Wechselwirkung miteinander und mit ihrer Umgebung im Gewebe.

Somit ist es auch naheliegend, dass der Forschung schon früh die immense Bedeutung dieser kleinsten funktionellen Einheiten unseres Körpers bewusst war, und seither versucht wird, sie sich für Heilungsprozesse zunutze zu machen. Denn viele Zellen haben großes regeneratives Potential.

Am Ludwig Boltzmann Institut für Experimentelle und Klinische Traumatologie (LBI Trauma) wird intensiv an der Regeneration von menschlichem Gewebe geforscht. Ganz nach dem Motto „Regenerieren statt reparieren!“ soll beschädigtes Gewebe nicht einfach nur zusammengeflickt, sondern seine volle Funktionsfähigkeit wiederhergestellt werden. Ist es irreparabel geschädigt, etwa bei einer schweren peripheren Nervenverletzung oder bei einem Knorpeldefekt, muss durch Intervention die Ausbildung von neuem Gewebe angeregt werden – zum Beispiel durch Stammzellen.

Bei dem Begriff Stammzellen kommen vielen Menschen wohl zuerst die embryonalen Stammzellen und die damit verbundenen ethischen Bedenken in den Sinn. Doch Stammzellen, also Zellen, die sich je nach Stimulus in verschiedene spezialisierte Zelltypen weiterentwickeln („differenzieren“) können, findet man im Organismus in jeder Phase des Lebens. Und – was für die Unbedenklichkeit der Anwendung noch wichtiger ist – man findet sie sogar in Gewebe, das normalerweise im medizinischen Abfall landet.

Die Plazenta ist ein typisches Beispiel für so ein Material. Meist wird sie nach der Geburt des Babys einfach entsorgt. Ein Teil davon ist das Amnion, die innerste der das Fruchtwasser umgebenden Eihäute. Es wird bereits seit Jahren im klinischen Alltag als Wundauflage oder Hornhauttransplantat eingesetzt. Weitere Anwendungen werden derzeit im Labor erprobt. Im AUVA Unfallkrankenhaus Graz wird beispielsweise die Wirksamkeit von Amnion als Gleitschicht bei schmerzhaften Adhäsionen der Nerven untersucht. Auf dem Amnion befinden sich auch Stammzellen. Sie können unter geeigneten Bedingungen zu verschiedenen Zellen des Binde- und Stützgewebes, sowie zu Muskel- oder Nervenzellen oder Zellen der Leber, Pankreas oder Lunge differenzieren. Den Stammzellen verdankt das Amnion auch seine entzündungshemmenden Eigenschaften. Dadurch kommt es zu einer schnelleren Heilung, Regeneration von funktionellem Gewebe und reduzierter Narbenbildung. Amnion kann für klinische Zwecke nur nach einem Kaiserschnitt verwendet werden und wird über Spenden gewonnen. Frisch gebackene Mütter können mit ihrer Spende einem Patienten mit Brandwunden oder Hornhautdefekt helfen oder die Stammzellforschung vorantreiben.

Eine weitere reiche Quelle an Stammzellen ist das Fettgewebe. Fettabsaugungen werden meist durchgeführt, um unliebsame Pölsterchen loszuwerden. Im Müll landen damit auch Millionen wertvoller Stammzellen und bioaktiver Substanzen. Zu den Vorteilen der Fettstammzellen zählt die einfache Verfügbarkeit – Fettgewebe findet man bei allen Patienten, und viele trennen sich gar nicht so ungern davon. Darüber hinaus ist auch die Gewinnung der Zellen vergleichsweise einfach, denn sie lassen sich leicht aus der lockeren Matrix herauslösen. Am LBI Trauma wurde eine Methode entwickelt, bei der die Zellen rein mechanisch gewonnen werden können, ganz ohne Einsatz von Enzymen. Das schont nicht nur das Gesundheitssystem (denn Enzyme sind teuer), sondern auch die Zellen, da es deren Qualität weniger beeinflusst. Ebenso wie die Zellen des Amnions können Fettstammzellen zu verschiedensten Gewebszellen differenzieren, und generell bei der Reparatur dieser Gewebe helfen. Besonders beachtlich ist ihre Fähigkeit ganze Netzwerke von Blutgefäßen zu erzeugen, damit beim Wiederaufbau von Geweben eine gute Durchblutung gewährleistet wird. Ihre entzündungshemmenden Eigenschaften werden bereits klinisch genutzt. Ihr Einsatz zum Aufbau neuen Gewebes hat sich im Labor bewährt, zum Beispiel in einer Studie des LBI Trauma zur Regeneration von Gelenksknorpel, und wird derzeit in zahlreichen klinischen Studien überprüft.