Knochen im Fokus
Die Osteoporose, auch als Knochenschwund bekannt, ist eine der häufigsten Alterserkrankungen und die häufigste Störung des Knochenstoffwechsels mit geschätzten 27 Millionen Fällen pro Jahr in Europa. Die Einschnitte in Leben der Betroffenen können gravierend sein: Schmerzen, eingeschränkte Beweglichkeit, Wirbelsäulenveränderungen bis hin zur Pflegebedürftigkeit. Bekannteste Folge der Osteoporose sind die vermehrt auftretenden Knochenbrüche. Am LBI Trauma erforscht man Osteoporose im Großen wie auch im ganz kleinen. Erkenntnisse werden auf dem makroskopischen Level einer Gesellschaft wie auch auf der mikroskopischen Ebene der Zellbiologie gewonnen.
Osteoporose ist durch eine geringe Knochenmasse und Verschlechterung der Mikroarchitektur des Knochengewebes gekennzeichnet. Die Knochen werden weniger stabil, das Risiko für Knochenbrüche steigt enorm. Das durchschnittliche Lebenszeitrisiko einer 50-jährigen Frau, einen osteoporotischen Knochenbruch zu erleiden, wird auf fast 50% geschätzt, das entsprechende Risiko bei Männern auf 22%. Häufig kommt es zu sogenannten Fragilitätsfrakturen, also Knochenbrüchen bei minimaler Krafteinwirkung, zum Beispiel bei Stürzen aus dem Stand.
Eine Gruppe aus Forscher*innen hat nun erstmals einen epidemiologischen Blick auf osteoporotische Fragilitätsfrakturen in Österreich geworfen. Neben der Gesundheit Österreich GmbH, dem Barmherzige Schwestern Krankenhaus Wien, der Medizinischen Universität Graz und Hemetsberger Medical Services war auch die AUVA an der Studie beteiligt. Johannes Grillari, Leiter des Ludwig Boltzmann Instituts für Traumatologie, das Forschungszentrum in Kooperation mit der AUVA, hat die Zusammenarbeit der Partner, die weitgehend auf der herausragenden Qualität der Patientendaten der AUVA basiert ist, koordiniert. Der Artikel erschien kürzlich in „Im Blickpunkt“, dem Magazin für Vertragspartner der ÖGK im Burgenland, sowie in dem renommierten Fachjournal Osteoporosis International.
Zahlen zu Knochenbruch-Diagnosen aus allen öffentlichen Krankenhäusern Österreichs wurden mit Daten des MEDOK-Systems der AUVA kombiniert, welches Informationen zur Verletzungsart, wie Sturz aus gleicher Höhe enthält. Insbesondere die hohe Datenqualität der AUVA durch das 4-Augen Prinzip bei den Diagnosen trägt zur hohen Relevanz dieser Studie bei. Dadurch konnte der Anteil der Fragilitätsfrakturen an den gesamten Knochenbrüchen abgeleitet und den Altersgruppen zugeordnet werden. Die Berechnungen ergaben, dass von insgesamt etwa 115.000 Fragilitätsfrakturen im Jahr 2018, 92.000 bei Personen im Alter von 50 Jahren oder älter auftraten, die der Osteoporose zugerechnet werden können. So konnten die Autor*innen die enorme Belastung aufzeigen, die die Osteoporose sowohl auf das Gesundheitssystem als auch auf die Lebensqualität so vieler Menschen ausübt. Sie leiten daraus den enormen Stellenwert der Sturzprävention ab, insbesondere von dem Hintergrund einer alternden Gesellschaft mit zunehmender Prävalenz der Osteoporose.
Doch was für Vorgänge passieren überhaupt in einem osteoporotischen Knochen? Ein Forschungsteam unter der Leitung von Darja Marolt-Presen, Leiterin der Knochenregenerationsgruppe am LBI Trauma, hat sich der Frage gewidmet, wie sich adulte Stammzellen im Knochen mit dem Alter verändern, und welche Auswirkungen das auf die Gesundheit von Knochen und Gelenken hat. Die Studie erschien diesen Sommer im Fachjournal Mechanisms of Ageing and Development.
Mesenchymale Stammzellen, die treibende Kraft hinter der Bildung von muskuloskelettalen Gewebes, bleiben auch in Erwachsenen aktiv, um Knochenbrüche bei der Heilung zu unterstützen. Bei Bedarf können sie sich selbst in Knochenzellen entwickelt, und tatkräftig mithelfen, oder sie regulieren das Verhalten benachbarter Zellen mithilfe von Signalen, beispielsweise mikroRNAs (kurz miRNAs).
In jedem erwachsenen Gewebe finden kontinuierlich Instandhaltungsprozesse statt. Rund um die Uhr sind Zellen damit beschäftigt, alte Gewebsmatrix durch neue zu ersetzen. Im Alter und insbesondere bei Osteoporose verschiebt sich das Gleichgewicht in diesem Prozess. Es wird mehr Knochenmatrix abgebaut als nachgebildet. Dieses Aus-dem-Gleichgewicht kommen, spiegelt sich auch in den Mesenchymalen Stammzellen wieder, nimmt dort möglicherweise gar seinen Ursprung.
Stammzell-„Erschöpfung“ (stem cell exhaustion) ist ein bekannter Vorgang, kennzeichnend für den alternden Körper. Es wurde gezeigt, dass alternde Stammzellen im Knochenmark sich weniger gut in Richtung Knochen entwickeln und stattdessen lieber zu Fettzellen werden. Diese können jedoch wenig für den Aufbau gesunden Knochen leisten, die Knochendichte sinkt. Die veränderte Umgebung wirkt sich wiederum auf noch bestehende Stammzellen aus. Bei der Untersuchung des Genexpressionsprofils von Stammzellen in osteoporotischen Knochen konnte beobachtet werden, dass diese andere Gene umsetzen als Stammzellen in gesunden Knochen älterer Spender. Ist der Knochen also erst einmal aus dem Gleichgewicht, kommt es zu einer Abwärtsspirale.
In diese Spirale kann man jedoch auch eingreifen. Das Verständnis für die zellulären und subzellulären Mechanismen der Osteoporose ist hierbei maßgeblich. Roland Kojican, Wissenschaftler am LBI für Osteologie sowie auch am LBI Trauma – ein Zeichen für die ausgezeichnete Kooperation dieser beiden LBIs – widmet sich seit Jahren der Rolle der Zellkommunikation in der Osteoporose. Unterstützt wurde er dabei durch das Wiener StartUp TAmiRNA. Er konnte nachweisen, dass sich Osteoporose nicht nur auf die miRNAs, die Signalmoleküle, im Knochen auswirkt, sondern auch auf im Körper zirkulierende miRNAs. Damit lässt sich auch erklären, warum Osteoporose nicht einfach nur einzelne Knochen betrifft, sondern den gesamten Knochenstoffwechsel der Patient*in. In Folgestudien beobachtete Kocijan, dass Medikamente, die zur Therapie von Osteoporose eingesetzt werden, auch das Profil der zirkulierenden miRNAs näher an den Normalzustand bringen. Die Erkenntnisse sind deshalb so bedeutend, weil eine Blutabnahme viel einfacher und schonender durchzuführen ist als eine Knochenbiopsie. Somit ließe sich im Blut nachweisen, ob eine Patient*in an Osteoporose leidet – und dementsprechend Präventive Maßnahmen ergriffen werden. Auch die medikamentöse Behandlung ließe sich über das Blut überwachen. Die Erkenntnisse sorgten in der wissenschaftlichen Community für großes Aufsehen und zu Veröffentlichungen in den besten Journalen des Knochenfeldes. Bereits Kocijan’s erste Studie wurde 2017 mit dem renommierten Copp-Preis der deutschen Gesellschaft für Osteologie in Erlangen ausgezeichnet.