Klebstoffe aus der Natur

Nahezu unsichtbar lauern sie am Waldrand und im hohen Gras auf den nächsten potentiellen Wirt: Zecken. Bekannt als Überträger gefährlicher Krankheiten, haben die kleinen Spinnentiere keinen besonders guten Ruf. Dabei können sie für die Forschung von großem Nutzen sein.

Um über mehrere Tage hinweg Blut saugen zu können, müssen Zecken sich fest in der Haut verankern. Einige Arten verwenden dafür eine zementartige Substanz, die auf und unter die Haut aufgetragen wird und wie ein Haftdübel für die Mundwerkzeuge wirkt. Aufgrund seiner enormen Klebeeigenschaften ist der Zeckenzement in den Fokus der medizinischen Forschung gerückt. Eine Gruppe an der Medizinischen Universität Wien, geleitet von Sylvia Nürnberger, arbeitet daran, den Zement zu charakterisieren und für die klinische Anwendung nutzbar zu machen. Denn viele derzeit in der Klinik verwendete Gewebekleber enthalten toxische Substanzen, sie reizen das umliegende Gewebe und wirken sich negativ auf Heilungsprozesse aus. Da Zecken oft lange unentdeckt bleiben, gehen die Forscher davon aus, dass Zeckenzement besser verträglich ist.

In den vergangenen vier Jahren wurden an der MedUni Zecken verschiedener Spezies untersucht. Mittels einer speziellen Fütterungsvorrichtung, einer hautähnlichen Membran, wurde der Zement gewonnen. Versuche in der Zellkultur zeigten tatsächlich, dass sich Zellen um und auf dem Zement wohl fühlen, was erste Hinweise auf gute Verträglichkeit gibt. Gemeinsam mit Martina Marchetti-Deschmann, von der Technischen Universität Wien, wird die chemische Zusammensetzung entschlüsselt und die biomechanischen Eigenschaften mit Philipp Thurner und Markus Valtiner, ebenfalls TU Wien, ermittelt.

Gefördert wurde das Projekt vom Wissenschaftsfonds FWF. Die Forscher sind zudem Teil der COST-Action der Europäischen Union. COST-Netzwerke fördern die Kooperation von nationalen und internationalen Forschungsaktivitäten in Wissenschaft und Technologie. Das Netzwerk für Bioklebstoffe „ENBA“ (European Network of BioAdhesives) wird vom Ludwig Boltzmann Institut für experimentelle und klinische Traumatologie (LBI Trauma) koordiniert und umfasst 150 ForscherInnen aus 30 Ländern.

Bioklebstoffe finden sich in der Natur überall. Vielerlei Tiere nutzen die klebrigen Substanzen zur Jagd oder Verteidigung, darunter der Salamander Ambystoma opacum, die Weinbergschnecke Helix pomatia, der Zwergtintenfisch Idiosepius biserialis, Mytilus Muscheln und viele mehr. Auch Pflanzen sondern Bioklebstoffe ab, am bekanntesten wohl die klebrigen Fallen fleischfressender Pflanzen. Wissen über diese Materialien hinsichtlich Zusammensetzung, Struktur und Interaktion mit Oberflächen kann Möglichkeiten für zukünftige klinische Anwendungen offenbaren.

Janek von Byern, Wissenschaftler am LBI Trauma und Leiter von ENBA, forscht an der Uni Wien an Bioklebstoffen von Molchen und Salamandern. Die kleinen Tierchen sondern klebrige Substanzen über die Haut ab, die als Abwehrmechanismus gegen Fressfeinde wirken. Sie härten besonders schnell aus und verkleben das Maul des Angreifers oft stundenlang. Der Klebstoff zeichnet sich durch seine hohe Haftstärke aus.

Auch die Weinbergschnecke stößt auf großes Interesse unter Bioklebstoffforschern. Ihr Schleim erlaubt es ihr, senkrechte Flächen zu erklimmen und sogar über Kopf hält der Klebstoff ihrem Gewicht stand. Sowohl die Haltung der Tiere als auch die Ernte des Schleims sind besonders einfach – wichtige Aspekte für eine zukünftige Nutzung.

Das Molekül DOPA, gewonnen aus den Haftfäden der Miesmuschel, wird besonders intensiv beforscht und befindet sich bereits in der präklinischen Testphase. Ein großer Vorteil von DOPA liegt in seiner natürlichen Anwendungsumgebung unter Wasser. Es härtet also auch in feuchter Umgebung aus. Die Haftstärke ist sogar etwas größer als beim Fibrinkleber, ein in der Klinik weit verbreiteter Gewebekleber nach dem Vorbild der Blutgerinnung. Mit den schlechter verträglichen synthetischen Klebern kann es jedoch hinsichtlich der Belastbarkeit nicht mithalten. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind also nach wie vor gefordert. Bei ihrer Forschung lassen sie sich gerne weiterhin von der Natur inspirieren.

a.