Im Zeichen der Forschung

Als erster Österreicher wird Prof. Dr. Wolfgang Grisold mit 1. Jänner 2022 Präsident der World Federation of Neurology. Der renommierte Neurologe ist ein langjähriger Wegbegleiter der Neuroregenerationsforschung am Ludwig Boltzmann Institut für Traumatologie, dem Forschungszentrum in Kooperation mit der AUVA. Conny Schneider, Wissenschaftskommunikatorin am LBI Trauma, trifft Dr. Grisold im virtuellen Raum zum Interview.

Herr Dr. Grisold, mit unserem Institut verbindet Sie eine langjährige Geschichte. Wie ist es dazu gekommen?

Die Geschichte ist, dass Professor Redl (Anm: Leiter des LBI Trauma von 1998 bis 2018) und ich uns schon lange kennen, nämlich noch aus der Schulzeit. Wir sind danach immer in Kontakt geblieben. Seine wissenschaftliche Tätigkeit hat in der Technik begonnen, mit dem Rasterelektronenmikroskop. Ich war damals pathologisch tätig, hatte viel Verständnis für Strukturen im Körper, speziell in der Neurologie. Da haben sich gemeinsame Interessen aufgetan. Es war für mich eine sehr fruchtbare Zusammenarbeit, mit dem technischen Hintergrund von Heinz auf Sachen zu schauen. Ganz besonders, als dann noch Dr. Robert Schmidhammer dazukam, der sich sehr für periphere Nerven und Nervenchirurgie interessiert hat. Das ist für die AUVA und für uns Neurologen ein hochrelevantes Thema, bei dem es immer noch viel zu tun gibt.

Vor nunmehr 27 Jahre, 1994, erschien die erste wissenschaftliche Publikationen gemeinsam mit dem LBI Trauma. Darin wird beschrieben, wie periphere Nervendefekte mit einer Laminin-Fibrin-Matrix und Silicon-Röhrchen überbrückt werden können. Nur ein Jahr darauf folgte bereits die nächste Studie: Die nicht-invasive Evaluierung der Nervenregeneration mittels Elektromyographie. Können Sie uns etwas über diese Technik erzählen?

Sehr gerne. Wir haben damals zwei Techniken untersucht, die Messung der Nervenleitgeschwindigkeit und die Elektromyographie. Das sind mittlerweile Standarduntersuchungen des peripheren Nervensystems.

Die Messung der Nervenleitgeschwindigkeit ist eine recht einfache Methode. Man stimuliert den Nerv und beobachtet dann entweder die daraus resultierende Muskelzuckung, oder, wenn man ganz sensibel untersucht, ein Potential, eine elektrische Darstellung des Reizes. So kann ich sehen, ob der Nerv in Ordnung, oder die Reizweiterleitung verlangsamt ist.

In der Elektromyographie wird die natürlich auftretende Spannung in einem Muskel gemessen. Einfach gesagt, man steckt eine Nadel in den Muskel und bekommt elektrische Signale. Diese Signale sagen uns, ob der Muskel normal oder denerviert ist, oder andere Erkrankungen der Muskulatur vorliegen. Manchmal muss man beide Methoden verwenden, um ans Ziel zu kommen.

Ein weiteres Gebiet, zu dem Sie geforscht haben, sind die Polyneuropathien. Können Sie uns davon berichten?

Polyneuropathien äußern sich durch eine symmetrische Störung der Sensorik und Sensibilität. Entsprechend der Länge der Nervenfasern sind sie meistens beinbetont – das geht hin von anhaltendem Kribbeln bis zum völligen Gefühlsverlust in den Füßen.

In unseren Breiten sind Polyneuropathien vorwiegend mit Diabetes verbunden, aber auch manche Formen der Chemotherapie können sie hervorrufen. Alkohol ist auch nicht zu vernachlässigen. Manchmal treten sie aber auch ohne erkennbare Ursache auf, meist im Alter. Ich sehe Patienten, die laufen von Praxis zu Praxis, von Befund zu Befund, ohne Ergebnis. Mein Rat ist da, nicht zu verzweifeln, weiter zu beobachten und gut auf seine Füße zu achten.

Das kann ich voll und ganz unterschreiben. Im Zuge meiner Recherchen für die Ludwig Boltzmann Forschungsgruppe für Alterung und Wundheilung, die am LBI Trauma untergebracht ist, sehe ich oft Verletzungen in Folge von Polyneuropathien, weil die Leute ihre Füße nicht mehr spüren. Das geht hin bis zu unbemerkt eingetretenen Nägeln. Man muss da besonders gut auf sich und seinen Körper achten, auch wenn es ohne „Gefühl“ nicht einfach ist.

Neben den klassischen Polyneuropathien in den Füßen gibt es auch noch andere, die in der Versorgung von Unfallpatient*innen eine Rolle spielen: nämlich Polyneuropathien auf der Intensivstation.

Ja, die sogenannten Critical Illness Neuropathies, auch damit haben wir uns beschäftigt. Es ist so, wer über lange Zeit beatmet wird, kann eine Polyneuropathie entwickeln. Auch Sepsis spielt eine Rolle. Die Patienten entwickeln Lähmungen in allen Extremitäten, auch der Nervus Frenicus, der Impulse zum Zwerchfell gibt, kann geschädigt sein. Das macht es schwer, von der Beatmung wieder weg zu kommen.

Eine definitive Therapie gibt es noch nicht. Es ist wichtig, die Grunderkrankung zu behandeln, den allgemeinen Gesundheitszustand zu verbessern, und sich danach Zeit zu lassen. Die Criticall Illness Neuropathies können sich wieder regenerieren.

Wechseln wir nun vom Blick zurück zum Blick nach vorne? Als Präsident der World Federation of Neurology, der weltweit 123 nationale Vereine angehören, nehmen Sie nun eine besonders prominente Funktion ein. Was sind Ihre Pläne für die kommenden Jahre?

Die Vereinigung ist global, und somit haben wir natürlich ein sehr unterschiedliches Spektrum and Themen und Bedürfnissen. Ich werde mich in meinen Plänen stark auf die edukatorischen Aktivitäten konzentrieren. Die Vereinigung betreibt aktuell weltweit 5 sogenannte Teaching Centers. Die Idee ist, nicht immer hinzufahren um zu lehren, sondern lokale Ausbildner zu empoweren, die dann ihr Wissen weitergeben. Wir machen das schon seit einigen Jahren in Rabat (Marokko), Dakar (Senegal), Kairo und Kapstadt. Vor kurzem haben wir auch in Mexico begonnen, dort sind die Bedürfnisse aber wieder anders, die neurologischen Zentren sind viel besser ausgeprägt, sie interessieren sich für andere Dinge. Darauf muss man eingehen. In Zukunft wollen wir das Angebot auch auf Asien ausweiten.

Es ist mir wichtig, dass die Regionen der World Federation alle zu Wort kommen. Derzeit ist nicht immer alles ganz symmetrisch. Es sollen sich zukünftig alle auf Augenhöhe treffen, alle gehört werden. Ich möchte auch regionale Konferenzen einführen, damit das besser über die Runden geht.

Herr Dr. Grisold, herzlichen Dank für das Interview. Gibt es zum Abschluss noch etwas, das Sie unseren Leser*innen mit auf den Weg geben wollen?

Ja, nämlich dass unser Gesundheitssystem hier in Österreich, trotz alles Unkrufe, wirklich zu den besten weltweit gehört, und wir uns glücklich schätzen können, in Österreich zu leben. In der Traumatologie sind wir vorbildlich, und dazu trägt auch die Forschung am LBI Trauma maßgeblich bei, die durch die Nähe zur AUVA so einen engen Bezug zu klinischen Bedürfnissen hat.