Forscher entschlüsseln die Geheimnisse einer steinzeitlichen Säuglingsbestattung

Auf dem Wachtberg in Krems an der Donau wurden 2005 bei Forschungsgrabungen zwei jungpaläolithische Säuglingsbestattungen entdeckt. Darunter befand sich die 31.000 Jahre alte Doppelbestattung zweier Säuglinge, geschützt durch das Schulterblatt eines Mammuts und gut erhalten. Genetische, morphologische und chemische Untersuchungen konnten die beiden Säuglinge als eineiige Zwillinge identifizieren und ihre kurze Überlebenszeit entschlüsseln.

Aus der Zeit des frühen anatomisch modernen Menschen der späten Altsteinzeit sind nur wenige Säuglingsbestattungen erhalten, und so ist der Fund der Archäolog*innen der Österreichischen Akademie der Wissenschaften ein globales Erbe von herausragender Bedeutung für die Beantwortung entwicklungs- und evolutionsbiologischer Fragen zu unserer Art. Antworten auf diese Fragen wurden von einem Team von 16 Wissenschaftler*innen verschiedenster Disziplinen und Institutionen erarbeitet, darunter auch das Ludwig Boltzmann Institut für Experimentelle und Klinische Traumatologie (LBI Trauma). Geleitet wurde die Studie von Maria Teschler-Nicola, Direktorin der Anthropologischen Abteilung des Naturhistorischen Museums in Wien.

Das Verwandtschaftsverhältnis der Säuglinge konnte von Molekulargenetiker*innen der Universität Wien, der Harvard Universität und der Universität von Coimbra entschlüsselt werden. Durch molekulargenetische Analyse zeigten sie, dass es sich bei der Doppelbestattung um männliche, eineiige Zwillinge handelte – und erbrachten damit den ersten molekulargenetisch verifizierten und frühesten Nachweis einer Zwillingsgeburt.

a. Der Fund der Archäologen der Österreichischen Akademie der Wissenschaften ist ein globales Erbe von herausragender Bedeutung für die Beantwortung entwicklungs- und evolutionsbiologischer Fragen zu unserer Art.

Der Bioinformatiker Patrick Heimel vom LBI Trauma, gemeinsam mit dem Anthropologen Stefan Tangl und dem Bildgebungsspezialisten Toni Dobsak von der Universitätszahnklinik Wien, beschäftigte sich mit der Frage des Sterbealters der Zwillinge. Für die Abschätzung wurden die oberen seitlichen Milchschneidezähne herangezogen und im µCT, einem besonders hochauflösenden Computertomographen, gescannt. Erst nur für die Vermessung der Geometrie gedacht, machten die Wissenschaftler auf den Scans eine unerwartete Entdeckung: es gelang ihnen, im Zahnschmelz die Neugeborenenlinie (neonatal line, NNL) sichtbar zu machen. Sie zeichnet sich als dunkle Linie im Zahnschmelz ab und trennt den vorgeburtlich gebildeten vom nachgeburtlich (postnatal) gebildeten Schmelz. Aus diesem Merkmal ließ sich, unter Beiziehung des Entwicklungsgrades anderer Körperregionen, die Schlussfolgerung ableiten, dass die Zwillinge reif geboren wurden, und dass sich deren Alter unterschied. Auf histologischen Dünnschliffpräparaten kann durch Vermessung der nachgeburtlichen Formation des Zahnschmelzes über der Neugeborenenlinie auf die Überlebenszeit geschlossen werden. Es zeigte sich, dass einer der Zwillinge bei oder kurz nach der Geburt verstarb, während der andere Säugling die Geburt um 6-7 Wochen überlebte.

a.

Der Bioinformatiker Patrick Heimel vom LBI Trauma, gemeinsam mit dem Anthropologen Stefan Tangl und dem Bildgebungsspezialisten Toni Dobsak von der Universitätszahnklinik Wien, beschäftigte sich mit der Frage des Sterbealters der Zwillinge. Für die Abschätzung wurden die oberen seitlichen Milchschneidezähne herangezogen und im µCT, einem besonders hochauflösenden Computertomographen, gescannt. Erst nur für die Vermessung der Geometrie gedacht, machten die Wissenschaftler auf den Scans eine unerwartete Entdeckung: es gelang ihnen, im Zahnschmelz die Neugeborenenlinie (neonatal line, NNL) sichtbar zu machen. Sie zeichnet sich als dunkle Linie im Zahnschmelz ab und trennt den vorgeburtlich gebildeten vom nachgeburtlich (postnatal) gebildeten Schmelz. Aus diesem Merkmal ließ sich, unter Beiziehung des Entwicklungsgrades anderer Körperregionen, die Schlussfolgerung ableiten, dass die Zwillinge reif geboren wurden, und dass sich deren Alter unterschied. Auf histologischen Dünnschliffpräparaten kann durch Vermessung der nachgeburtlichen Formation des Zahnschmelzes über der Neugeborenenlinie auf die Überlebenszeit geschlossen werden. Es zeigte sich, dass einer der Zwillinge bei oder kurz nach der Geburt verstarb, während der andere Säugling die Geburt um 6-7 Wochen überlebte.

a. Experten des LBI Trauma der AUVA sind an den Forschungen beteiligt.

Unterstützt werden diese Ergebnisse auch durch die chemometrische Analysen von Isotopenanalytikern und Chemikern der Montanuniversität in Leoben und der Pennsylvania State University. Barium, das vor der Geburt aufgrund der plazentalen Schranke keinen oder kaum einen Eintrag im Zahnschmelz findet, wird nachgeburtlich aus der Muttermilch aufgenommen und deshalb auch im postnatalen Zahnschmelz eingelagert. Bei den bestatteten Zwillingen lässt sich durch Nachweis von Barium im Zahnschmelz erkennen, dass bei dem früh verstorbenen Säugling zumindest ein Stillversuch stattfand. Im postnatalen Zahnschmelz des 6-7 Wochen alten Säuglings konnte ein größerer Anstieg des Bariumsignals festgestellt werden.

Der unterschiedliche Todeszeitpunkt der Zwillinge kann auch die unterschiedliche Lage der körperlichen Reste der beiden Säuglinge erklären. Der 6-7 Wochen alte Säugling ist demnach die „Nachbestattung“. Das setzt Wiederöffnung des Grabes voraus – ein kulturhistorischer Befund von großer Relevanz, da er das bisher bekannte Spektrum an Bestattungspraktiken dieses Zeitalters erweitert.

Nur durch die Zusammenarbeit von Wissenschaftler*innen unterschiedlicher Fachbereiche war es möglich, den per se bereits sensationellen archäologischen Fund und um mehrere kleine Sensationen zu erweitern. Sowohl der DNA Nachweis einer derart frühen Zwillingsgeburt wie auch das unterschiedliche Sterbealter der Zwillinge im selben Grab sind weltweit einzigartig. Somit ist der Fund der Wachtberger Zwillinge von herausragender Bedeutung für die Beantwortung entwicklungs- und evolutionsbiologischer Fragen zu unserer Art.

a. Bioinformatiker Patrick Heimel, MSc vom LBI Trauma