EVs – Kleine Bläschen mit großem Potential

Extrazelluläre Vesikel sind DER Trend der biomedizinischen Forschung. Kaum eine Vortragsreihe geht vorüber, ohne dass die zwei vielversprechenden Buchstaben fallen – EV, aus dem englischen Sprachgebrauch heraus „I-vi“ ausgesprochen.

EVs sind kleine Bläschen, die von nahezu allen Zelltypen ausgeschieden werden. Sie werden von einer Membran ähnlich der Zellmembran umgeben und enthalten Proteine und RNA, also Abschriften des genetischen Codes als Bauanleitung für weitere Proteine. Mit einer Größe von nur 50 Nanometern bis zu wenigen Mikrometern können sie sich leicht durch den Körper bewegen. Im Prinzip eine Art zellulärer Flaschenpost.

Die Anziehungskraft von EVs ist einfach erklärt. Sie bieten der Wissenschaft nie dagewesene Einblicke in die Kommunikation zwischen Zellen, den kleinsten lebenden Einheiten unseres Körpers. Und mehr noch, die Kommunikation kann nicht nur beobachtet und entschlüsselt, sondern auch nachgeahmt werden. Für die Medizin bedeutet das neue Möglichkeiten, in den Verlauf von Krankheiten einzugreifen oder bestimmte erwünschte Prozesse in Gang zu setzen. EVs als Therapeutika wären in gewisser Weise auch eine Weiterentwicklung der Zelltherapien. Anstatt Zellen zu applizieren, um deren positive Signale zu nützen – beispielsweise die entzündungshemmende Wirkung mesenchymaler Stammzellen – könnten mittels EVs die Signale selbst eingesetzt werden. Im Vergleich zu Zellen, die sich wie alle Lebewesen selbst vermehren und ihr Verhalten ändern können, sind EVs statisch. Einmal abgegeben, enthalten sie eine klare Botschaft, die sich nicht mehr verändert.

EVs konnten in wichtigen Prozessen wie Immunabwehr, Regeneration sowie im Erhalt des natürlichen Gleichgewichts innerhalb eines Gewebes beobachtet werden. Sie spielen aber auch eine Rolle bei degenerativen Erkrankungen und Krebs. Als Mittel zur Kommunikation kennen sie kein Gut oder Böse – wie bei jeder Botschaft, macht der Inhalt den Unterschied. Das Verständnis von EVs auch in ihren unerwünschten Formen hilft, die Krankheiten besser zu verstehen und neue diagnostische Methoden zu entwickeln.

Viele Studien beschäftigen sich mit den biologischen Mechanismen von EVs, um den Weg für zukünftige Therapien zu ebnen. Auch am Ludwig Boltzmann Institut für Traumatologie (LBI Trauma), das Forschungszentrum in Kooperation mit der AUVA, wird intensiv daran geforscht. Aber nicht nur zelluläre Mechanismen stehen im Fokus der Wissenschaftler:innen. Im Hinblick auf eine zukünftige Anwendung in der Klinik sind auch Qualitätskontrollen ein wichtiger Faktor.

Derzeit werden EVs mit einer Kombination aus Messungen der Partikeleigenschaften, Proteinzusammensetzung und angepassten Methoden der Zellcharakterisierung untersucht. Für einen Sprung in die medizinische Routine müssen aus komplexen wissenschaftlichen Methoden praxistaugliche, standardarisierte Tests werden.

Gemeinsam mit Wissenschaftler:innen der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität Salzburg und der Fachhochschule Oberösterreich, Campus Linz, entwickelte Eleni Priglinger eine Messung auf Basis der Quarzkristall-Mikrowaage, eine Sensortechnik bei der der Zusammenhang zwischen elektrischer Spannung und mechanischer Verformung von Quarz genutzt wird. Auf einem Quarzkristall, beschichtet mit einer Lipidschicht, werden Antikörper verankert. Nach dem Schlüssel – Schloss Prinzip „fangen“ diese Antikörper jene EVs, welche die entsprechende Antigenstruktur auf ihrer Oberfläche tragen. Zusätzlich lässt sich mit dieser Technik auch der Energieverlust („Dissipation“) der EVs nach der Bindung messen – er gibt Auskunft darüber, wie weich oder steif das gemessene Partikel ist. Nicht mehr intakte EVs, kleine Partikel mit denselben Antigenen oder lose Proteine werden dadurch erkannt und können von der Messung ausgeschlossen werden. Diese Unterscheidung in EVs und andere nicht-EV Partikel ist ein entscheidender Vorteil, der die Methode besonders robust macht.

Ein weiterer zentraler Vorteil ist die Einfachheit der Messung. Sie kann ohne vorherige Färbung der EVs durchgeführt werden, der Aufwand bei der Probenaufbereitung wird dadurch auf ein Minimum reduziert. Die Wissenschaftler:innen erhoffen sich dadurch Anreize für Laboratorien, das Spektrum ihrer Methoden um die neue EV-Messung zu erweitern. Eine breitere Infrastruktur zur Untersuchung und Qualitätssicherung wäre ein wichtiger Schritt für den Sprung in die klinische Routine.

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Wie wichtig eine gründliche Charakterisierung ist, demonstrierten Johannes Oesterreicher und seine Kolleg:innen aus der Forschungsgruppe Gefäßbiologie am LBI Trauma. Als Produkt natürlicher Prozesse sind sie Schwankungen unterlegen – ein und dieselbe Zelle kann je nach Situation ein anderes Spektrum an EVs aussenden. Auch in der Zellkultur, wo die Bedingungen besonders standardisiert sind, lassen sich diese Schwankungen beobachten.

Die Forscher:innen untersuchten Gefäßzellen aus der Nabelschnur in verschiedenen Situationen – wie etwa der Zelldichte. In der Kulturflasche wachsen die Zellen auf einer Plastikoberfläche und vermehren sich so lange, bis sie dicht gedrängt die gesamte Oberfläche bedecken. Manchen Zelltypen macht dieses Gedränge nichts aus, andere reagieren äußerst empfindlich darauf. In Gefäßzellen verändert sich bei großer Zelldichte die Teilungsrate und die Gene, welche aus dem Kern abgeschrieben und in Proteine übersetzt werden. In den Nabelschnurzellen konnten die LBI Trauma Wissenschaftler:innen jetzt auch nachweisen, dass sich die EV-Sekretion verändert. Während bei genug Freiraum in der Flasche eher kleine Vesikel abgegeben werden, neigen dicht gedrängte Zellen zur Abgabe größerer EVs.

Aus dem großen wissenschaftlichen Interesse heraus hat sich vor 6 Jahren die Österreichische Gesellschaft für Extrazelluläre Vesikel (Austrian Society for Extracellular Vesicles, kurz ASEV), gegründet. Wolfgang Holnthoner, Leiter der Gefäßbiologie-Forschung am LBI Trauma, ist nicht nur seit kurzem neuer Präsident der Gesellschaft, sondern auch seit ihrer Entstehung prägend für die Gemeinschaft. Neben der Organisation von Veranstaltungen war er für den Aufbau der ASEV Social Media Kanäle verantwortlich (auf Facebook und Twitter), in denen regelmäßig Neuigkeiten zu Konferenzen, Veröffentlichungen und mehr gepostet werden. Auch der Austausch mit internationalen EV-Gesellschaften kommt nicht zu kurz. #EVenthusiasts sind eingeladen, sich der aktiven Twitter-Bubble anzuschließen.