Die Welt des Blutes

Oft ist es nur ein Moment. Ein falscher Tritt, ein tiefer Sturz. Ein Bauarbeiter wird nach einem schweren Arbeitsunfall unter Blaulicht ins Unfallkrankenhaus gebracht. Er verliert viel Blut. Das Team vor Ort wurde vom Rettungsdienst vorgewarnt und wartet bereits auf die Ankunft. Es gilt, schnell Entscheidungen zu treffen. Die Übernahme funktioniert wie geprobt, jede:r hat seine Rolle. Dem Patienten wird Blut entnommen. Eine Probe geht sofort ins Labor, eine andere wird direkt im Schockraum einem Gerät zugeführt. Ein paar Momente bis die ersten Ergebnisse da sind, dann wissen die Expert:innen, was zu tun ist.

Das beschriebene Szenario ist beispielhaft für die zahlreichen Schwerverletzten, die im Schockraum des UKH Salzburg behandelt werden. Sei es nun ein Sturz auf der Baustelle, am Berg oder ein schwerer Verkehrsunfall – im UKH Salzburg sind die Patient:innen in besten Händen. Das zeigt auch ein Blick ins Traumaregister, einer zentrale Datenbank hunderter Kliniken im deutschsprachigen Raum. Wer als schwerstverletzter Patient ins UKH Salzburg eingeliefert wird, hat überdurchschnittlich hohe Überlebenschancen.

Die Umsetzung eines Blutungsmanagements auf höchstem internationalen Niveau ist eine der herausragenden Leistungen des Salzburger Teams und einer von Priv.-Doz. Dr. Herbert Schöchls größten Erfolgen. Schöchl ist Facharzt für Anästhesiologie und Intensivmedizin, Gerinnungsbeauftragter der AUVA, Oberarzt am UKH Salzburg und dort seit 2018 stellvertretender Leiter der Abteilung für Anästhesiologie und Intensivmedizin. Nach über 20 Dienstjahren in der AUVA, versieht er dieser Tage seinen letzten Dienst, bevor er sich in den wohlverdienten Ruhestand begibt. Zuvor hatte er fast ebenso lang als Notarzt am Rettungshubschrauber Salzburg und am Notarztwagen der Stadt Salzburg gearbeitet. Er kennt die Phasen eines Notfalles also an all seinen Schauplätzen, vom Unfallort bis hin zum Schockraum. Die meisten Mediziner:innen entscheiden sich im Laufe ihres beruflichen Lebenswegs irgendwann zwischen Klinik und Forschung. Beides sind Vollzeitberufungen. Herbert Schöchl, der immer das Beste aus sich und auch seinem Team herausholte, hinterließ in beiden Bereichen seine Handschrift.

Die Hämostaseologie, also die Lehre von der Blutgerinnung und wie man diese beeinflussen kann, hatte es ihm bereits früh angetan und durch seinen unermüdlichen Einsatz konnte er dieses medizinische Feld und die Forschung daran über die Jahre hinweg maßgeblich prägen.

Erste Berührungspunkte mit der Forschung hatte Herbert Schöchl 2009 im Ludwig Boltzmann Institut für Traumatologie (kurz „LBI Trauma“), dem Forschungszentrum in Kooperation mit der AUVA. Er war einer der ersten Mediziner:innen, die die damals erst kürzlich geschaffene Forschungs-Rotationsstelle der medizinischen Direktion innehatten. Gleich seine erste wissenschaftliche Studie sollte sich als wegweisend herausstellen. Er beschrieb darin das Phänomen der Hyperfibrinolyse, einer gefährlichen Komplikation der Blutgerinnung nach schweren Verletzungen und wie diese möglichst schnell nachgewiesen werden kann. Bei der Hyperfibrinolyse löst sich das lebensrettende Blutgerinnsel, das für den Verschluss einer Wunde von innen gebildet wurde und die Blutung stoppen soll, zu schnell auf. Verantwortlich dafür ist ein eigentlich lebenswichtiger Mechanismus im Körper, der uns unter normalen Umständen vor gefährlichen Thrombosen schützt. Im Falle einer Schwerstverletzung kann uns dieser Mechanismus aber zum tödlichen Verhängnis werden.

2009 war das Phänomen der Hyperfibrinolyse noch unzureichend verstanden. Die Forschungswelt hatte gerade erst begonnen, es genauer unter die Lupe zu nehmen. Herbert Schöchls umfangreiche Arbeit, die sich durch ihre Praxisnähe auszeichnete, war mitbegründend für ein Thema, das sich in den folgenden Jahren als äußerst wichtiger Aspekt des Blutungsmanagements in den Notaufnahmen der Welt herausstellen sollte.

Angespornt durch die wertvollen Erkenntnisse vertiefte sich Schöchl in der Forschung zu diesem Thema. Er gründete die Forschungsgruppe für Trauma-induzierte Gerinnungsstörungen (TIC) am LBI Trauma und ebnete damit auch den Weg für den „Austrian Way“ des Blutungsmanagements.

Der „Austrian Way“, wie er in der internationalen Fachliteratur getauft wurde, zeichnet sich durch mehrere Kernpunkte aus. Jeder Fall ist eigens zu betrachten, unmittelbar am Patienten durchgeführte Messungen und die Anwendung von Algorithmen sind der Schlüssel zu einer personalisierten, zielgerichteten Therapie.  Das Team führt an Ort und Stelle im Schockraum Tests der Blutgerinnung durch, um zu verstehen, welche Teile des Blutes diese:r Patient:in in diesem Moment fehlen. Danach werden die einzelnen Bestandteile zielgerichtet verabreicht. Der Austrian Way ist ein Zurücktreten vom Gießkannen- oder Kübelprinzip, bei dem Bluttransfusionen in großen Mengen verabreicht werden. Eine Bluttransfusion stellt immer eine flüssige Transplantation dar – wie bei jeder Transplantation kann diese auch zu Immunreaktionen führen, die den Körper des Patienten weiter schwächen. Eine gezielte Therapie mit roten Blutzellen und Gerinnungsfaktoren spart nicht nur das wertvolle Gut Blutkonserve, sondern bietet Schwerstverletzten in manchen Situationen auch bessere Überlebenschancen.

„Herbert hat immer das Beste aus den Menschen heraus geholt mit denen er gearbeitet hat. Ganz oben hat dabei immer gestanden, seinen Patient:innen die weltweit besten Methoden teilwerden zu lassen.“ erinnert sich Johannes Zipperle vom LBI Trauma, ein langjähriger Wegbegleiter seiner wissenschaftlichen Arbeit. Seine Erkenntnisse suchte Schöchl stets mit anderen zu teilen. Er beteiligte sich an über 200 Studien in Fachjournalen – und hinterließ der Nachwelt darunter auch eine Arbeit im renommierten Magazin Nature Disease Primers, die als Standardwerk für angehende Mediziner:innen und Expert:innen auf dem Feld gilt. Dazu kommt sein Engagement in der Nachwuchsförderung. “Geschätzt ein Viertel aller Notärzte in Österreich haben beim Herbert gelernt“, scherzt ein Kollege bei Schöchls Abschiedssymposium in Salzburg.  Die Kurse will er jedoch weiterhin halten. So ganz zur Ruhe kann man nach einem Leben für die Intensivmedizin wohl nicht so schnell kommen. Und doch gibt der Rückzug aus der Klinik neuen Raum. „Echte wissenschaftliche Erneuerung in der Medizin geschieht durch Pensionierungen“, schloss Herbert Schöchl schmunzelnd, seine Rede am Abschiedssymposium und sorgte für einige Lacher im Publikum. Wir bedanken uns bei Dr. Schöchl für seine langjährige unverzichtbare Arbeit für seine Patient:innen und sein wissenschaftliches Vermächtnis, das auch über seine aktiven Jahre hinaus weiter leben wird.