„Wunde Punkte“ in der Gesundheitsversorgung

Warum heilen Wunden im Alter oft so schlecht? Vier Jahre lang ist die Ludwig-Boltzmann-Forschungsgruppe für Alterung und Wundheilung dieser Frage nachgegangen. Mit Ende September 2024 beendet das Team seine Forschungsarbeit. Doch die Mission geht weiter.

An jeder Wunde hängt ein Mensch“, hört man oft von professionellen Wundversorgern:-versorgerinnen. Damit weisen sie auf die zwischenmenschlichen, sozialen und gesellschaftlichen Aspekte der Wundversorgung hin. Doch auch medizinisch ist die Aussage hochrelevant. Denn um fehlende Wundheilung im Alter zu erklären, muss man sich den Körper in seiner Gesamtheit ansehen.

Bevor eine chronische Wund entsteht, ist im Körper meist bereits so einiges aus dem Ruder gelaufen. Eine Venenklappe schließt nicht mehr, das Blut staut sich in den Füßen und Beinen. Oder Verengungen der Blutgefäße lassen das Blut gar nicht mehr bis in die Füße vordringen. Gefäßprobleme sind die häufigsten Auslöser von Wundheilungsstörungen und chronischen Wunden. Daneben spielen auch Diabetes und Druckgeschwüre durch Bewegungsunfähigkeit eine große Rolle.

Erfolgreiche Wundbehandlung kann also nur funktionieren, wenn sie ganzheitlich angegangen wird. In der Forschungsgruppe für Alterung und Wundheilung denkt man noch einen Schritt weiter. Ganzheitlich muss nicht beim Körper aufhören. Auch die Ganzheit der Betreuer:innen verschiedener Berufe und Fachrichtungen muss betrachtet werden. Und noch größer gedacht: das Gesundheitssystem, die Gesundheitspolitik und die Art, wie wir alle Wundheilung verstehen.

a. Alle Berufsgruppen müssen involviert werden.

Erfahrungen einfließen lassen
Um das große Ganze zu verstehen, war es für die Forschungsgruppe wegweisend, stets mit dem großen Ganzen in Verbindung zu treten. Viele Perspektiven haben über die Laufzeit der Forschungsgruppe Platz in deren Arbeit gefunden – von Leitern:Leiterinnen internationaler Gesellschaften bis zur von chronischen Wunden betroffenen Person aus dem Grätzel. Es geht der Forschungsgruppe darum, Menschen ins Boot zu holen, die etwas zu sagen haben und Erfahrungen gemacht haben mit chronischen Wunden und deren Behandlung, um gemeinsam die Probleme zu definieren und Lösungen zu erarbeiten.

Aus den vielen Gesprächen entstand 2022 ein umfassender Bericht zur Versorgung chronischer Wunden im österreichischen Gesundheitssystem, 2023 eine wissenschaftliche Publikation zum enormen Wert von Koordinations- und Beziehungsarbeit in der professionellen Wundversorgung und diesen Sommer eine Broschüre, die Menschen bei ihren ersten Schritten mit einer chronischen Wunde begleitet. Im Laufe der Jahre ist so ein beachtliches Netzwerk an Input-Gebenden zustande gekommen. Um diesem Netzwerk etwas zurückzugeben, und weil Wissen immer größer wird, wenn man es teilt, lud die Forschungsgruppe im Juni zum Forum „Wunde Punkte“. Unter den über 100 Teilnehmenden begegneten einander Forschende, Praktiker:innen, Betroffene und Angehörige.

a. Erfolgreiche Wundbehandlung braucht einen ganzheitlichen Ansatz.

Gute Koordination entscheidet
Die medizinische Versorgung chronischer Wunden hat viele Schauplätze. Das auf Effizienz optimierte Krankenhauszimmer, die freundlich-helle Praxis der Hausärztin, das gemütliche Wohnzimmer des zu Hause betreuten Patienten. Manchmal auch eine Parkbank. Chronische Wunden begegnen Menschen in allen Lebensumständen, auch in schwierigen.

Der Schuh, seit Wochen getragen, lässt sich kaum ausziehen. Die Socke darunter ist mit der Wunde verwachsen. Die Schilderungen von Monika Stark, ärztliche Leiterin des Louisebus, gehen unter die Haut. In der mobilen medizinischen Versorgungseinrichtung der Caritas in Wien fängt sie Menschen auf, die durchs System fallen. Gerade dann braucht es viel Vertrauen. Gerade dann ist es wichtig, über die Wunde hinaus die Patienten:Patientinnen in ihrer Gänze als Menschen zu sehen.

Menschen zu sehen, ist auch auf der Versorgungsseite unglaublich wichtig. Ebenso wie hinter jeder Wunde ein Mensch steht, steckt auch in jedem weißen Kittel, jedem medizinischen Handschuh ein Mensch. Wundversorgung ist ein Beruf, der viel zwischenmenschliche Koordination braucht. Fixe Strukturen gibt es bisher kaum. „Müssen wir Berufsbilder in Zukunft neu denken?“, war die große Frage in einer Gesprächsrunde. „Kann die Digitalisierung uns den Weg in eine bessere Wundversorgung ebnen?“, war Thema einer Vortragsreihe. DGKP Karoline Kinsky hielt darin ein feuriges Plädoyer für mehr digitale Grundbildung. „Wenn jemandem der Begriff Adresszeile im Browser nicht geläufig ist, brauchen wir von digitaler Versorgung noch gar nicht reden“, thematisiert sie pointiert grundlegende Hürden der Digitalisierung.

Für die Ludwig Boltzmann Forschungsgruppe ist die Veranstaltung ein voller Erfolg. Denn für sie ist es auch eine Art Staffelübergabe. Die in ihrer Forschungsarbeit geknüpften Kontakte sollen sich nicht mehr bei ihnen bündeln, sondern näher zusammenrücken. So bleibt die Arbeit noch über die Laufzeit der Gruppe hinaus am Leben.

a. Ein Netzwerk an Expert:innen bringt Input aus verschiedenen Perspektiven ein.