Heilende Explosionen – Revolutionen der Stoßwellentherapie
In den Jahrzehnten seit ihrer Entdeckung hat die Stoßwellentherapie eine erstaunliche Wandlung hingelegt. Von der Nierensteinzertrümmerung zur Knochenheilung und sogar zur Herztherapie – wir werfen einen Blick auf die Entwicklungen, die Österreich in der Stoßwellenforschung weltweit führend machen.
Es ist eine Geschichte voller Zufallsentdeckungen. Die erste davon hätten wir besser auf andere Weise gemacht, stammt sie doch wie so viele technologische Innovationen aus dem Krieg. Schiffbrüchige Matrosen, die in der Nähe von explodierenden Wassersprengkörpern schwammen, kamen auf mysteriöse Weise um, ganz ohne äußere Verletzungen. Bei Obduktionen wurde festgestellt, dass ihr Lungengewebe zerrissen war. Seitdem wissen wir, dass starke mechanische Kräfte frei werden, wenn eine Schallwelle von einem Medium (Wasser) in ein anderes (den Körper) übergeht.
Es dauerte nicht lange, bis dieses Phänomen gezielt erforscht wurde. Ärzte und Flugzeugphysiker arbeiteten zusammen, und entwickelten ein Gerät, dass die zerstörerische Kraft der Schallwellen im Körper in etwas Nützliches umwandelte: der erste Nierensteinzertrümmerer der Welt. In den 1980ern revolutionierte er die Urologie. Nun war es möglich, selbst große Nierensteine innerhalb des Patientenkörpers zu zertrümmern, ganz ohne großen schnittoperativen Eingriff. Auch heute, wo statt dem Schnitt quer über den Bauch nur noch zwei kleine Einschnitte nötig wären, schätzen viele Patient:innen die schnelle narkosefreie Behandlung. In Ländern mit schlechter entwickeltem Gesundheitssystem ist die Entfernung durch die „Stoßwelle“ nach wie vor Standard.
Es ist ein destruktives Verfahren, das der extrakorporalen Stoßwelle den Einzug in die Medizin erlaubte. Doch der nächste Zufallsfund sollte bald zeigen, dass sie mehr kann als zu zertrümmern. Durch die Dokumentation sämtlicher Nebenwirkungen der neuartigen Behandlung wurde klar: die Stoßwelle regt die Heilung von Knochenbrüchen an, weit über das Maß normaler Heilung hinaus.
Dass Österreich heut weltweit führend ist bei der Behandlung von nichtheilenden Knochenbrüchen, ist der Initiative von Wolfgang Schaden zu verdanken. Der ehemalige Oberarzt am Traumazentrum Wien Standort Meidling gilt als Pionier der Stoßwellenforschung in der Traumatologie. Seine wegweisende Forschung am Ludwig Boltzmann Institut für Traumatologie und der AUVA führte zur Gründung der Europäischen und später Internationalen Gesellschaft für Extrakorporale Stoßwellentherapie (ISMST).
In den Unfallkrankenhäusern der AUVA gehört die Stoßwellbehandlung bereits zur Routine. Bei besonders komplizierten Brüchen, die eine Heilungsstörung erwarten lassen, wird sie bereits vorbeugend angewandt. Jahrelange Erfahrung zeigt: die Erfolgsrate der Stoßwelle ist vergleichbar mit einer rekonstruktiven Operation, mit weniger Komplikationen und nur 10% der Kosten. Für die Unfallchirurg:innen der AUVA steht somit außer Frage, dass die Stoßwelle die Therapie der 1. Wahl sein muss. Auch bei Schäden an Nerven und Sehnen wird sie mittlerweile angewandt.
Doch wie funktioniert sie überhaupt? Lange Zeit galt die Annahme, dass die regenerativen Effekte der Stoßwelle mit vielen mikroskopisch kleinen Verletzungen zusammenhängen, die die Heilung anregen. Ein Nachweis dieser Mikrotraumata konnte jedoch nie erbracht werden. Die Annahme stammte wohl vielmehr vom destruktiven Ruf der Stoßwelle, ein Nachhall ihres Einsatzes als Zertrümmerer. Als Dr. Schaden die Beobachtung machte, dass die Stoßwelle auch bei Wundheilungsstörungen hilft, war für ihn die Theorie der Mikroverletzungen endgültig überholt.
Untersuchungen am LBI Trauma, der FH Technikum Wien sowie der Medizinischen Universität Innsbruck beschreiben vielmehr verschiedene zelluläre Effekte der Stoßwelle, die ihre heilenden Eigenschaften erklären könnten. So wurde in Innsbruck an Herzmuskelzellen beobachtet, dass die Behandlung an der Zelloberfläche kleine Bläschen abschert, die als Botenstoff regenerative Effekte auslösen – bei benachbarten Zellen, und sogar über das Ursprungsgewebe hinaus. Auf diese Art können beispielsweise aus dem Knochenmark Stammzellen rekrutiert werden, die sich danach dort einnisten, wo das Signal abgegeben wurde. Die Stoßwelle löst also eine Art körpereigene Stammzelltherapie aus.
Wir nähern uns also der Entschlüsselung der letzten Geheimnisse der Stoßwelle. Bei allem Lob, sei jedoch auch angemerkt, dass eine Hürde noch nicht überwunden werden konnte. Bei jedem regenerativen Anwendungsfeld bleibt eine Gruppe von Patient:innen, die auf die Behandlung nicht anspricht, sogenannte „Non-Responder“. Es ist ein Phänomen, das aus vielen zellbiologisch wirkenden Therapien bekannt ist und spiegelt die enorme Komplexität des Körpers als System vieler lebender Einheiten wider. Noch konnte nicht erklärt werden, welcher Umstand Menschen zu Non-Respondern macht oder ob Änderungen in Energie, Frequenz, Dauer oder sonstigen Parametern nicht doch einen Therapieerfolg ermöglichen würden. Die Wissenschaft fühlt sich noch lange nicht mit ihrem Latein am Ende. Und sie wird nicht müde, neue Anwendungen zu erproben.
Eine besonders spektakuläre Studie fand 2023 an der Medizinischen Universität Innsbruck unter Leitung von Priv.Doz. Dr. Johannes Holfeld statt. Am Ende von Bypassoperationen, noch während die Patient:innen in tiefer Narkose an der Herz-Lungen-Maschine hängen, wurde ihr schlagender Herzmuskel mit einer Serie von Schockwellen-Impulsen therapiert. In weiterer Folge wurde die Herzleistung verblindet gemessen. Das bedeutet, dass die untersuchenden Ärzt:innen nicht wussten, ob die Patienten die Behandlung erhalten hatten oder nicht. Das Resultat unter den Behandelten war eine dramatisch verbesserte Leistungsfähigkeit im Anschluss an den Eingriff. Die Studie wurde schließlich in Rücksprache mit der Ethikkommission vorzeitig beendet. Man wollte den Patient:innen, die der unbehandelten Vergleichs-Gruppe angehörten, die echte Behandlung nicht vorenthalten.